Hintergrund: Entgegen der Erwartung, dass die Gesundheitsversorgungsstandards in europäischen Ländern ähnlich sind, unterscheiden sich die HIV-Infektionsraten und die für Prävention und Behandlung eingesetzten Mittel in der Region erheblich. Die uneinheitliche Situation ergibt sich aus den unterschiedlichen lokalen politischen Prozessen, Politikentwicklungen und Formen des Aktivismus. Unter diesen Bedingungen sind verschiedene Formen von „Staatsbürgerschaft“ entstanden, was bedeutet, dass Menschen in Verbindung mit HIV Rechte wie das auf optimale Behandlung zuerkannt werden, sie aber im Gegenzug gewisse Verpflichtungen eingehen. EUROPACH untersucht die historischen und gegenwärtigen Beziehungen zwischen Gesundheitsversorgung und Staatsbürgerschaftsmodellen – insbesondere die Ausgestaltung lokaler Gesundheitspolitiken im Zusammenspiel mit dem Aufbau von Community-Netzwerken – in Europa.
Untersuchungsrahmen: EUROPACH rekonstruiert die „soziopolitischen Arenen“ (policy worlds), in denen HIV/AIDS in Deutschland, Polen, England, der Türkei und auf europäischer Ebene verhandelt wird. Der Forschungsansatz der „soziopolitischen Arenen“ umfasst nicht nur die Analyse der politischen Instrumente und Agenden, sondern auch der Praktiken ihrer Entstehung, Umsetzung und Anfechtung. Insofern Deutschland, Polen, England und die Türkei in unterschiedlichen Beziehungen zur Europäischen Union und zu anderen europäischen Strukturen stehen, ermöglichen die Fallstudien, die Konzepte „Europa“ und „Staatsbürgerschaft“ als veränderliche und instabile Entitäten zu verstehen.
Methoden: EUROPACH basiert auf einer engen Zusammenarbeit zwischen vier lokalen Forschungsgruppen in Deutschland, Polen, England und der Schweiz und 14 assoziierten nicht-akademischen Partnerorganisationen, die den Forschungsprozess beratend unterstützen. Die Forscher_innen führen Archivrecherchen, Interviews mit wichtigen Akteur_innen sowie teilnehmende Beobachtungen im Bereich der Gesundheitsversorgung, des Aktivismus und institutioneller Politikentwicklung durch und beziehen in ihre Analysen auch künstlerische Auseinandersetzungen mit HIV/AIDS ein.
Nutzen für die Öffentlichkeit: Um die lokalen und transnationalen Geschichten, welche die soziopolitischen Arenen der Verhandlung von HIV/AIDS bis heute prägen, zu veranschaulichen, entwickeln die Forscher_innen interaktive Karten. Außerdem bauen sie ein Archiv mit Interviews und Dokumenten zur Geschichte von HIV/AIDS in Europa auf. Karten und Archiv werden über die Projektwebseite öffentlich zugänglich gemacht und sollen dazu beitragen, neue Strategien gegen die fortbestehenden Bedrohungen durch HIV zu entwickeln.